Stetig steigende Lebenserwartungen stellen die Versorgung im Alltag zunehmend vor Herausforderungen. Noch so minimale Barrieren von nur wenigen Zentimetern können entscheidend dafür sein, die eigene Wohnung nicht mehr verlassen oder einfache Angelegenheiten des täglichen Lebens verrichten zu können. Mit dem Bundesbehindertengleichstellungsgesetz sollte hier Abhilfe geschaffen werden.
mehr…Sowohl Bund als auch die Stadt Wien haben sich für ihre Belange aber eine Hintertür offengelassen. Ein kürzlich geschilderter Anlassfall in der ORF-Sendung „Bürgeranwalt“, in welcher ÖHGB-Präsident Dr. Martin Prunbauer in der Rolle eines Eigentümer-und Vermietervertreters eingeladen war, konnte positiv erledigt werden: Einer gehbehinderten Frau, die mit ihrem Elektromobil wegen einer Schwelle ihr Wohnhaus nicht eigenständig verlassen konnte, wurden von Wiener Wohnen zunächst rechtliche Hürden zur Realisierung ihres Vorhabens in den Weg gestellt bevor sich Wiens größte Hausverwaltung schließlich aus Kulanz bereit erklärte, diese Barriere durch Schaffung einer Rampe auf ihre Kosten zu beseitigen. Behindertenanwalt Dr. Hansjörg Hofer vertrat in der Sendung die Auffassung, dass im konkreten Fall ein Anspruch auf Schaffung von Barrierefreiheit gegenüber Wiener Wohnen besteht, weil es sich bei Wiener Wohnen mit über 220.000 Wohneinheiten um keinen „kleinen Vermieter“ handeln würde und es aufgrund der steigenden Lebenserwartung einen höheren Bedarf für barrierefreies Wohnen gäbe. Allein mit behindertengerechten Neubauten könne künftig nicht mehr das Auslangen gefunden werden.
Im Vollanwendungsbereich des MRG besteht keine Verpflichtung des Hauseigentümers gegenüber seinem bestehenden Mieter zur Schaffung von Barrierefreiheit im Bestandobjekt sowie an den allgemeinen Teilen des Hauses. Es obliegt dem Mieter die entsprechenden Investitionen zu tätigen. Für unwesentliche Änderungen (zB Anbringung von Haltegriffen im WC) wird eine Genehmigung durch den Vermieter entbehrlich sein, hingegen sind wesentliche Änderungen im Mietgegenstand und außerhalb davon von dessen Zustimmung abhängig. Unter bestimmten Voraussetzungen – u.a. eine technisch einwandfreie Ausführung ist gewährleistet, die Maßnahme dient einem wichtigen Interesse des Mieters, wovon bei einer öffentlichen Förderung jedenfalls auszugehen ist – kann der Vermieter seine Zustimmung nicht verweigern. Dass die Herstellung von Barrierefreiheit keine den Vermieter treffende Angelegenheit darstellt, ist unter dem Blickwinkel des im MRG geregelten umfassenden Erhaltungsbegriffs fair, denn der Vermieter muss schließlich ohnedies eine ganze Reihe von Erhaltungsmaßnahmen aus der Mietzinsreserve bestreiten.
Mit 1.1.2006 ist das Bundesbehindertengleichstellungsgesetz in Kraft getreten, das nicht nur unmittelbare, sondern auch mittelbare Diskriminierungen ausschließen möchte. Unter mittelbarer Diskriminierung versteht der Gesetzgeber auch bauliche Barrieren wie Stufen oder zu schmale Türstöcke, die den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, beschneiden. Ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot löst Schadenersatzpflichten aus, es sei denn die Beseitigung des Hindernisses ist rechtswidrig – etwa ein unter Denkmalschutz stehendes Haus lässt keinen barrierefreien Zugang zu – oder ist wegen unverhältnismäßiger Belastungen unzumutbar. Darunter könnte etwa der nachträgliche Einbau eines Aufzugs in einen Altbau fallen.
Da von Vornherein klar war, dass für bauliche Barrieren die Umsetzung nicht von heute auf morgen erfolgen könne, statuierte der Gesetzgeber Übergangsbestimmungen. Das Gesetz sollte für bauliche Barrieren, die vor dem 1.1.2006 bewilligt wurden – also bestehende Gebäude – erst nach einer Frist von zehn Jahren, somit ab 1.1.2016 Anwendung finden.
Adressat des Diskriminierungsverbots ist der Bund im Rahmen der Verwaltung und in seiner Funktion als Träger von Privatrechten; das Gesetz bezieht aber auch alle Rechtsverhältnisse in den personellen Geltungsbereich ein, soweit es um den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen geht, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen.
Der Bund als Eigentümer eines Amtsgebäudes und der Inhaber eines Geschäftslokals – egal ob Eigentümer oder Mieter – sind als unmittelbarer Anbieter von Gütern und Dienstleistungen vom Verbot der Diskriminierung ebenso angesprochen wie der Zinshausbesitzer, der selbst als Anbieter des Guts „Wohn- oder Geschäftsraum“ mit einem Inserat am Markt auftritt; hier gilt es aber im Einzelfall eine ganze Reihe von Ansprüchen zu prüfen, bevor von einer durchsetzbaren Verpflichtung ausgegangen werden kann.
Mit einer Novelle im Jahr 2011 schlich sich in Gestalt einer unscheinbaren Ergänzung eine Fristverlängerung zugunsten des Bundes ein: Eine mittelbare Diskriminierung wegen baulicher Barrieren liegt nur dann vor, wenn die Beseitigung der Barriere im Etappenplan vorgesehen ist und bis Ende 2019 (also nicht bereits mit 1.1.2016) nicht umgesetzt wurde. Noch großzügiger verfährt die Stadt Wien. Diese hat sich als Zeitplan zur Fertigstellung der Umsetzung sogar 30 Jahre verordnet, womit die Frist erst 2042 endet.
Gerade beim Thema Gleichbehandlung sollten Gebietskörperschaften keine Privilegien gegenüber Privaten eingeräumt werden.